Zum fünfjährigen Bestehen der Stiftung Archicultura am 12.06.2001

1. Anlass für die Gründung der Stiftung ARCHICULTURA

Frage: Wo wohnen Sie lieber, oder wo machen Sie lieber Ferien: In einem harmonischen, intakten, malerischen Ort oder in einem Ort, der verunstaltet und architektonisch chaotisch ist?

Harmonische, intakte Ortsbilder vermitteln den Bewohnerinnen und Bewohnern Heimatgefühl und Geborgenheit. Sie dienen der Identifikation mit der gebauten Umwelt und haben einen hohen kulturellen Wert. Sie bilden in zunehmendem Mass auch eine wichtige Grundlage für den Fremdenverkehr.

Seit den 50er Jahren hat ein massives Bauwachstum eingesetzt. Jährlich wird in der Schweiz eine Fläche in der Grössenordnung des Brienzersees neu überbaut. Seit dem 2. Weltkrieg wurde mehr Bauvolumen erstellt als in allen vergangenen Jahrhunderten seit der Besiedlung der Schweiz.

Eine rege Bautätigkeit ist zwar ein Indikator für eine florierende Wirtschaft und damit eigentlich ein positives Zeichen. In diesem Sinne können und wollen wir das Bauen auch nicht verhindern. Was uns jedoch missfällt ist der Umstand, dass viele Neubauten sich nicht in unsere Ortsbilder einfügen bzw. diese sogar stören oder verunstalten.

Wohl unterlag unsere Baukultur zu allen Zeiten einer gewissen Wandlung. Dieser Wandlung setzten jedoch früher die Baumaterialien Schranken. Die Behörden, Bauherren und Architekten waren traditionsbewusster, und die gesetzlichen Grundlagen wurden respektiert bzw. nicht bis an die Grenzen ausgereizt oder uminterpretiert.

Heute sind unsere Ortsbilder jedoch einer galoppierenden und krassen Wandlung ausgesetzt. Es werden gedankenlos, aus dem Katalog, je nach dem persönlichen Geschmack der am Bau Beteiligten, nach der gerade aktuellen architektonischen Modeströmung oder sehr oft von reinem Renditedenken bestimmt, nicht den örtlichen Gegebenheiten angepasste Bauten erstellt, die überall und nirgends hinpassen. Bauten somit, die in keiner Weise auf die überlieferte örtliche Bauweise Bezug nehmen. Mit andern Worten passt ein Berner Oberländer Chalet genau so wenig in ein Tessiner Dorf wie ein Tessiner Rustico ins Berner Oberland. Der ortstypische architektonische Charakter, der in den vielen schweizerischen Regionen einmal sehr vielfältig, aber auch sehr eigenständig vorhanden war, geht damit weitgehend verloren. Ein Ort gleicht bald dem anderen.

Dazu kommen rücksichtslose Bauten, die nicht nur unpassend, sondern störend oder sogar verunstaltend sind. Aus der von unserer Stiftung anhand von umfassenden Grobbeurteilungen erarbeiteten Karte kann entnommen werden, dass bereits ein grosser Teil der Orte des schweizerischen Mittellandes sowie der Alpenhaupttäler stark beeinträchtigt sind. Die bauliche Umweltverschmutzung greift leider stetig um sich. Zuhauf visuelle Immissionen, Verunstaltungen und architektonisches Chaos! Die schöne Schweiz ist gar nicht mehr so schön, wie wir uns dies selbstgefällig und ohne Selbstkritik einreden.

Dabei wäre ein rücksichtsvolles, bezugnehmendes Bauen durchaus möglich und auch nicht teurer. Die Instrumente der Ortsbildpflege (Ortsbildanalyse, Gestaltungsvorschriften, Gestaltungsfibel, Eingliederungsanalyse) sind in der Literatur vorhanden. Neues mit Respekt vor der Vergangenheit neben Altes zu stellen ist aber eine Kunst, die von den am Bau Beteiligten nebst hohem Fachkönnen sehr viel Sensibilität erfordert. Ein reines Kopieren ist dabei meistens ebenso falsch wie das heute so oft praktizierte Kontrastieren. Leider wird jedoch im Umgang mit der Architektur von vorgestern und gestern auf einen Dialog häufig vollständig verzichtet, so dass ein unharmonisches, charakterloses Konglomerat von Bauten entsteht.

Aufgrund dieser Erkenntnis wurde im September 1996 zur Bewahrung und zur nachhaltigen Entwicklung unserer Ortsbilder die Stiftung ARCHICULTURA gegründet.

Wir hoffen nun mit unseren Projekten und Arbeiten der Beeinträchtigung und Verschandelung unseres Landes etwas entgegenwirken zu können. Dabei ist die Stiftung - um nicht falsch verstanden zu werden - nicht gegen zeitgemässes Bauen. Wir erwarten jedoch, dass sich Neubauten angemessen in das überlieferte Ortsbild eingliedern.


2. Zur Stiftung selbst 

Die Stiftung stützt sich auf die gesetzlichen Bestimmungen des Raumplanungs-, des Natur- und Heimatschutzgesetzes sowie auf die Aesthetikvorschriften in den kantonalen Planungs- und Baugesetzen und in den kommunalen Bau- und Zonenordnungen. Diese Aesthetikklauseln beinhalten fallweise das Verunstaltungs- oder das Beeinträchtigungsverbot oder das noch strengere Eingliederungsgebot. Die Stiftung erfüllt damit eine öffentlich-rechtliche Aufgabe.

Die Stiftung hat im Wesentlichen zum Zweck:

Eintreten für

- intakte Orts- und Landschaftsbilder;

- die Eingliederung aller Bauten und Anlagen in dieselben;

- die Verhinderung von Verunstaltungen und architektonischem Chaos.

Die Stiftung mit Sitz in Luzern ist in der ganzen Schweiz tätig und bereits in 13 Kantonen vertreten. Sie untersteht der Stiftungsaufsicht des Kantons Luzern und ist als Stiftung mit öffentlich-rechtlichem Zweck steuerbefreit.

Alle Stiftungsräte, Beisitzer, Regionalvertreter, Geschäftsführer arbeiten ehrenamtlich und unentgeltlich. Seit der Gründung der Stiftung wurden über 8'000 Fronstunden geleistet.

Die Stiftung ist eine private, von Gönnerinnen und Gönnern unterstützte Institution. In der kurzen Zeit des Bestehens der Stiftung haben bereits über 950 Gönnerinnen und Gönner diese unterstützt. Dies zeigt mit aller Deutlichkeit, dass die Zielsetzungen der Stiftung einem grossen Anliegen der breiten Bevölkerung unseres Landes entsprechen.

Die Stiftung ist politisch und wirtschaftlich unabhängig. Insbesondere ist sie nicht der Bau- und Architekturbranche verpflichtet. Dies erlaubt der Stiftung ungebunden zu handeln und auch negative bauliche Aspekte kritisch aufzuzeigen.


3. Unterlagen und Projekte der Stiftung zur Zielerreichung

Das Wirken der Stiftung stützt sich auf die folgenden Grundlagen, Projekte und Tätigkeiten:

Grundlagen 

  • Gesetzliche Bestimmungen

  • Rechtsprechung und Kommentare

  • Fachliteratur zur Ortsbildpflege

  • Inventar Ortsbildqualität je Gesamtortschaft der Schweiz

  • Regionale Ortsbildqualität der Schweiz (Karte und Liste)

Oeffentlichkeitsarbeit 

  • Merkblätter zum Thema Ortsbilder und Ortsbildpflege

  • Wanderausstellung

  • Gemeinschaftsausstellung BL

  • Projekttage und -wochen mit Schulen

  • ARCHICULTURA-Medaille

  • ARCHICULTURA-Auszeichnung

  • ARCHICULTURA-Tourismus

  • Internet: www.archicultura.ch

Beratungen 
  • Beratungen zur Ortsbildpflege allgemein
  • Gutachten zu konkreten Bauvorhaben
  • Unterstützung von Einsprechern


4. Rückblick

Was hat die Stiftung Archicultura in den vergangenen 5 Jahren erreicht?

Erarbeitet haben wir unsere Hilfsmittel aufgrund der gesetzlichen Grundlagen und auf der Basis von Fachliteratur. Es sind dies die Merkblätter zum Thema Ortsbilder und Ortsbildpflege, die drei Wanderausstellungen sowie das Inventar der Qualität der gesamtheitlichen Ortsbilder der Schweiz.

Geleistet haben wie sehr viel Oeffentlichkeitsarbeit. So haben wir unsere Wanderausstellung in den vergangenen 5 Jahren an über 450 Tagen an verschiedenen Orten und Anlässen gezeigt. Die Ausstellung ist ein Mittel, um die Behörden und die Bevölkerung auf die Ortsbilder und die Ortsbildpflege aufmerksam zu machen.

Rund 99 % der Besucher unserer Ausstellung finden es äusserst lobenswert, dass wir etwas gegen die bauliche Verschandelung unseres Landes unternehmen. Allerdings hören wir oft, dass wir 40 Jahre zu spät sind und dass sich doch nichts machen lässt.

Sehr viele Besucher unserer Wanderausstellung geben uns die Rückmeldung, dass sie nach dem Betrachten unserer Ausstellung die Ortsbilder ganz anders wahrnehmen würden. Damit haben wir bereits ein wichtiges Ziel, nämlich die Sensibilisierung zum Thema Ortsbilder erreicht.

Diese Wanderausstellungen können bei der Stiftung für besondere Anlässe angefordert werden.

1998 hat Imfeld im Binntal, Kanton Wallis, unsere erste ARCHICULTURA-Medaille für das vorbildliche gesamtheitliche Ortsbild erhalten. Wie uns der Gemeinderat von Binn bestätigt hat, kommen seit dieser Vergabe viele Touristen, um sich besonders den Ort Imfeld und das Binntal anzuschauen.

Im vergangenen Jahr hat das Grand Hotel Quellenhof in Bad Ragaz die erste ARCHICULTURA-Auszeichnung für die vorbildliche Neuinterpretation des zwischenzeitlich abgerissenen klassizistischen Altbaus erhalten. Die Ehrentafel kann zusammen mit dem Modell der Hotelanlage im Zwischentrakt des Hotels Quellenhof besichtigt werden.

Letztes Jahr hat die Denkmalpflege des Kantons Basel-Landschaft mit unserer Stiftung eine Gemeinschaftsausstellung zum Thema Ortsbilder und Ortsbildpflege erarbeitet. Diese Ausstellung wird im Rahmen der Ortsplanungsrevision laufend in den Gemeinden des Kantons Basel-Landschaft gezeigt.

Mit Schulklassen führten wir mit Erfolg Projekttage durch. Dabei war erstaunlich festzustellen, wie feinfühlig die Jugend auf die gebaute Umwelt reagiert.

Im Weiteren haben wir diverse private Einsprecher mit Dokumenten zur Rechtsprechung oder Gutachten unterstützt und in einigen Fällen diesen zum Erfolg, d.h. zur Verbesserung störender oder verunstaltender Bauprojekte verholfen.


5. Zielsetzungen für die nächsten 5 Jahre

Was will die Stiftung in den nächsten 5 Jahren erreichen?

Mit der Publikation der sehr harmonischen und intakten Ortsbilder der Schweiz sowie der Regionen mit guter bis sehr guter Ortsbildqualität erhoffen wir für die Regionen, welche den Ortsbildern Sorge getragen haben, vermehrten Fremdenverkehr.

Bemerkung: Im vergangenen Jahr wurden in unserem Land im Bereich Fremdenverkehr rund 22,7 Mrd. Franken ausgegeben. In diesem mehrere hundert Jahre alten Markt mit steigender Tendenz werden unsere Empfehlungen mit Sicherheit mehr und mehr an Bedeutung gewinnen, denn viele Touristen suchen sich für ihre Ferien und Tagesausflüge zunehmend ein baulich intaktes Umfeld aus.

Im Gegenzug erhoffen wir uns von den beeinträchtigten Regionen im Interesse der dort lebenden Bevölkerung und im Interesse des Fremdenverkehrs eine Besinnung auf eine nachhaltige Ortsbildpflege.

Mit dem Internet-Auftritt wollen wir unsere Zielsetzungen, Projekte und Arbeiten sowie insbesondere die rechtlichen Grundlagen und die Rechtsprechung besser bekannt machen. Im Intranet werden wir auch die sehr harmonischen und intakten Ortsbilder der Schweiz vorstellen.

Es gibt noch Kantone ohne Regionalvertreter. Diese Lücken wollen wir schliessen.

Die jetzt schon stattliche Anzahl von Gönnerinnen und Gönnern wollen wir allgemein und mit besonderen Aktionen noch erhöhen sowie die Gönnerbeiträge für unsere Projekte und Tätigkeiten vergrössern, damit wir unsere Projekte und Arbeiten verstärken können.

Gönnerinnen und Gönner, Behörden und Bevölkerung wollen wir mit vermehrten Anlässen, Informationen und Unterlagen verbessert aufklären.

Mit zielverwandten Organisationen wollen wir je nach gemeinsamen Interessen zusammenarbeiten und an entsprechenden Tagungen teilnehmen.

Die Legitimation für Einsprachen werden wir in 5 Jahren erhalten. Mit der Einsprachelegitimation erhält die Stiftung mehr Gewicht. Allerdings ist es nicht unser erstrangiges Ziel, uns mit Einsprachen durchzusetzen. Vielmehr versuchen wir mit Informationen, Aufklärung und Beratung Wirkung zu erzielen. Wir wollen die Behörden und die Bevölkerung im Sinne der Lebensqualität und des Fremdenverkehrs dahingehend beeinflussen, dass Einsprachen hoffentlich nicht mehr notwendig werden.

Im übrigen werden wir alle bisherigen Zielsetzungen und Projekte stetig weiterverfolgen.

Luzern, im September 2001 

Stiftung ARCHICULTURA